Eva Andorn ist das Pseudonym einer Lektorin, die in den 1970er Jahren im Ruhrgebiet aufwuchs und seit der Jahrtausendwende in der deutschen Hauptstadt lebte. Sie ist einer von immer mehr Menschen, die sich im spärlich besiedelten Landkreis niederlassen. Allerdings ist sie wohl die einzige Zugezogene, die ihr erstes Land-jahr in einem Band mit Begebenheiten aus der Prignitz verarbeitet hat. Dabei entwickelt sich auf knapp 200 Seiten ein Roman, dessen Kurzgeschichten sich wie Kapitel aufeinander beziehen. Neben den Schwierigkeiten des Umzugs und des Einlebens nimmt ein zweiter Erzählstrang genauso viel Platz ein: der um Leonberger-Welpen Otto, der in den zwölf Monaten von 23 auf 55 Kilogramm Gewicht heranwächst und dabei die besorgte Hundemutter auf Trab hält.
Dagegen spielt Eva Andorns Mann Marc eine eigentlich untergeordnete Rolle als Stichwortgeber, Hausmeister, Gärtner fürs Grobe und Chauffeur. Immerhin belasten die mit dem Umzug verbundenen Veränderungen nicht ihre Paarbeziehung. Sie, die sich eher als Träumerin definiert, erkennt Marc als Macher an, der ihr letzten Endes auch Haus und Hund ermöglicht hat.
Der Autorin gelingt eine ironische Sicht auf ihr Alter Ego, eine eingefleischte, finanziell offensichtlich gut gestellte Großstädterin: „Ich habe mir schon oft vorgestellt, wie ich auf einer gepflegten Terrasse sitze, in einem bequemen Gartenstuhl aus zertifiziertem Holz, die Manufactum-Arbeitshandschuhe auf den Tisch lege, aus einem 25 Pantone-7467-C-farbenen Becher vom fair gehandelten Kaffee nippe und zufrieden, nach getaner Gartenarbeit, auf meine üppig blühenden und duftenden Rosen schaue.“
Der Leser kann nur ahnen, dass sehr viel Biografisches in dieses Buch-Debüt eingeflossen ist, obwohl die Verfasserin am Ende behauptet, dass „sämtliche Personen und Örtlichkeiten“ frei erfunden seien, abgesehen von der Prignitz und dem Hundekind. Aber dennoch weist alles auf den realen neuen Lebensmittelpunkt der Schriftstellerin in Plattenburg mit den entsprechenden Aktivitäten auf dem dortigen Schloss hin.
Anfangs atmet der Leser auf, dass das Werk kein weiterer Aufguss einer Brandenburg-Beschimpfung wird. Obwohl Andorn gleich zu Beginn ihre Angst mitteilt, dass es einen „Dorfnazi“ geben könnte oder mehrere – was sie bei Juli Zeh gelesen habe. Das ist ebenfalls Sorge Nummer Drei aller ihrer Bekannten, die sich zuerst über Einkaufsmöglichkeiten und danach über die ärztliche Versorgung erkundigen. Der Leser ist also schnell im Bild über ihr Großstadtumfeld, das ihr Denken prägt.
Jedoch bleibt für solche Überlegungen lange keine Zeit. Die Arbeit mit der Renovierung des Hauses, an dem es tatsächlich trotz des günstigen Preises keinen Haken gibt, die Gartenpflege und die täglichen Wege lassen keine Zeit. Der Großstadt-Chic weicht einer Garderobe, die sowohl für den Hühnerstall als auch den Supermarkt taugt. Und die Nachbarn sind abgesehen von Spötteleien beschämend hilfsbereit gegenüber den „Bouletten“.
Doch dann kippt die Handlung etwas, als sich die Ich-Erzählerin durch die ungewohnte Gartenarbeit „ein Karpaltunnelsyndrom errecht und erharkt“ hat. Auf einmal findet sie Zeit, sich mit mehr Einheimischen zu unterhalten und bekommt die Ansichten und Sorgen der normal arbeitenden Menschen ab, wie etwa ihrer Physiotherapeutin. Die von den Eingesessenen benutzten Formulierungen, fern vom neuesten Stand der politischen Korrektheit Berlins, wirken auf sie verstörend.
Die Autorin schreibt weiter. Einzelne Folgeepisoden veröffentlicht sie auf ihrer Website evaandorn.de.
Vielleicht ermöglicht Band Zwei ein Zusammentreffen mit dem Rentner, der das schlimme „N-Wort“ für Schwarze verwendet, Marcs versiertem kurdischen Friseur aus Perleberg und einer vermutlich Corona-leugnenden Ärztin an einer Feuerschale beim nächsten Schlossfest – möglicherweise bereits zum Weihnachtsmarkt auf der Plattenburg. Matthias BusseEva Andorn: Mit Otto aufs Land. (Ver-)Zweifeln, Staunen, Ausprobieren. Books on Demand 2023, 194 Seiten. Die Perleberger Buchhandlung und die Autorin stellen das Buch am 16. und 17. Dezember von 11 bis 18 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt Plattenburg vor.