„Seit dem Jahr 2005 waren zwei Arbeitsgruppen des Freundeskreises Nähmaschine damit beschäftigt, die Nähmaschinenausstellung im Stadtmuseum neuzugestalten”, blickt Henry Strutz auf den Beginn seiner ehrenamtlichen Arbeit im Museum zurück. Die erste Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema „Ein VEB war mehr als ein Produktionsbetrieb”. Diese leitete Günther Berthold. Er war von 1974 bis 1982 Betriebsdirektor des Nähmaschinenwerks. „Im Nähmaschinenwerk hatten wir einen Kindergarten, medizinische Betreuung, eine Berufsschule, verschiedene Sport- und Freizeitgruppen und vieles mehr”, zählt Strutz auf.
Die zweite Gruppe befasste sich mit der Entwicklung des Nähmaschinenwerks und der Erzeugnisse der Singer- und Veritas-Zeit. Sie wurde von Henry Strutz geleitet. Da im Museum nicht genügend Platz für die Präsentation der erarbeiteten Dokumentation war, wurde sie in vorbereitete Schrankfächer platziert, die heute für die Museumsbesucher zugänglich sind.
Zu den Aufgaben dieser Arbeitsgruppe gehörte auch die Neugestaltung der Schauwand für Nähmaschinen. Sie wurde von Siegfried Leppin, Leiter des Nählabors des Direktionsbereiches Erzeugnisentwicklung, mit Maschinen aus dem Fundus des Museums mit Informationen zur jeweiligen Nähmaschine gestaltet. Unter Henry Strutz’ Regie wurde parallel das Nähmaschinen-Regal neu aufgebaut und mit entsprechenden Dokumenten bestückt, die bereits im Museum vorhanden waren. Sie wurden mit weiteren Dokumentationen von Mitgliedern des Freundeskreises Nähmaschine ergänzt. Auch an der Überarbeitung der Ausstellung im Uhrenturm war Henry Strutz maßgeblich beteiligt.
„Ich vollendete dann auch die Arbeit von Günter Berthold, der viel zu früh starb”, berichtet Henry Strutz. Im Jahr 2012 wurde die neue Dauerausstellung eröffnet. Sie erzählt in vielen Details die Geschichte des Wittenberger Nähmaschinenwerkes. Die liebevoll und aufwendig umgesetzte Ausstellung informiert nicht nur über wirtschaftliche und technische Gesichtspunkte, sondern auch über das soziale und kulturelle Leben der Nähmaschinenwerker.
Noch heute ist der inzwischen 84-Jährige jeden Mittwoch im Museum anzutreffen. Er beschriftet und archiviert alte Fotos aus der Sammlung des Museums. „Das ist eine sehr gute Basis für die spätere Digitalisierung”, lobte Museumsleiter Marcel Steller die Arbeit des ehemaligen Nähmaschinenwerkers. Sein Ziel ist es, diese Arbeit zu vollenden, bevor der dienstälteste Museumsmitarbeiter nach rund 20 Jahren ehrenamtlicher Arbeit Ende des Jahres in „Museumsrente” geht.
Henry Strutz studierte nach erfolgreichem Abitur an der EOS in Kyritz an der TU Dresden „Konstruktion Textilmaschinenbau”. Nach Abschluss des Studiums 1964 begann er seine Tätigkeit im Nähmaschinenwerk in Wittenberge, das er durch Praktika während des Studiums bereits kennengelernt hatte, als Konstrukteur für die Nähmaschine – der kleinsten Textilmaschine. „Es wurden ja damals keine Stellen ausgeschrieben. Stattdessen wurde immer versucht „eigene Gewächse” zu gewinnen”, beschreibt er die damalige Mitarbeitergewinnung. „Willst du auf dieser Stelle ewig versauern?”, fragt ihn sein Vorgesetzter fünf Jahre später.
Im August 1969 wurde ihm die Leitung der Hauptabteilung „Grundmittel” übertragen. Damit war er verantwortlich für die technologische Planung im Betrieb, die Investitionstätigkeit und hatte dafür zu sorgen, dass alle technischen Anlagen immer einsatzbereit waren. „Von diesem Bereich hatte ich eigentlich keine Ahnung. Mein Glück war es, dass mir in der Einarbeitungszeit Bauingenieur Arthur Lippmann mit Rat und Tat hilfreich zur Seite stand.” 1975 wurde schließlich die Stelle als Direktor für Erzeugnisentwicklung frei, die er bis zur Wende 1989 besetzte. „Der Übergang von einem VEB in eine GmbH war dann eine aufregende Zeit”, erinnerte er sich.
Während der Abwicklung des Nähmaschinenwerkes ab Januar 1992 und seiner Kündigungsfrist leitete Henry Strutz die bereits in der GmbH-Zeit installierten 13 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verbesserung der betrieblichen Anlagen.
Dann bereitete er das Technologie- und Gewerbezentrum in den Räumlichkeiten des Nähmaschinenwerkes vor. Zwei Geschäftsführer und eine Schreibkraft sollten eingestellt werden. Er bewarb sich für eine Geschäftsführer-Stelle, wurde aber nicht eingestellt. Die Gründe waren: zu alt und zu staatsnah.
Also begann er die neue Tätigkeit als Projektleiter in der Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft für die zeitweise Beschäftigung von entlassenen Mitarbeitern des Nähmaschinenwerkes und anderer Betriebe. „Mit dieser Maßnahme wurden gekündigte Arbeitnehmer aufgefangen. Und sie hatten die Möglichkeit, sich beruflich neu zu orientieren”, berichtete er. Im Alter von 60 Jahren ging Henry Strutz in den Ruhestand.
Der Ruhestand ließ ihn nicht lange ruhen. Auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit, wie er seinen persönlichen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann, kam er ins Wittenberger Stadtmuseum „Alte Burg”. „Das Museum ist ein idealer Ort um ehrenamtlich Arbeit zu leisten – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten”, freut er sich. Jens Wegner