Das sollte man nicht unkritisch, aber aufmerksam lesen. Krenz kann sich auf eigene Aufzeichnungen stützen. Er hatte die Angewohnheit, sich zu Terminen in seinen Arbeitskalendern ausführliche Notizen vor oder nach Gesprächen zu machen, auch zu Inhalten von Briefen und Vorlagen.
Diese Kalender stehen ihm weiterhin zur Verfügung. Daraus entstand eine Schilderung, Einordnung und erstaunlich zurückhaltende Bewertung von Ereignissen, die auch viele ältere Leser mittelbar oder sogar unmittelbar erlebt haben. Besonderen Raum nehmen die Beziehungen zur UdSSR und zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion ein. Krenz lässt keine Zweifel daran, dass Moskau in allen wichtigen Fragen der DDR das letzte Wort hatte. Das führte nicht nur zu wirtschaftspolitischen Verwerfungen, sondern auch Widersprüchen zu den Ambitionen von Erich Honecker in den innerdeutschen Beziehungen. Dass westdeutsche Politiker aller Parteien zur SED-Spitze einen guten, teilweise sogar engen Kontakt suchten, belegt Krenz mit vielen Beispielen. Seine Darstellungen bestätigen, dass es in der politischen Führung der DDR, vor allem im SED-Politbüro nicht sehr demokratisch zuging und Honecker selbst immer engstirniger auf die Anforderungen der Zeit reagierte. Pikanterien aus dem inneren Zirkel der Macht wird man nicht finden, dazu ist Krenz wohl zu diszipliniert, aber so manche Anekdote charakterisiert die Menschen, die die meisten sonst nur aus Protokollnotizen kennen, auf ungewohnte Weise. Das gilt auch für den Autor, dem Udo Lindenberg einst zur Wahl ins Politbüro schrieb: „Wie ich in der Zeitung lese, bist du in deinem Verein befördert worden. Darauf müssen wir anstoßen.“
Krenz ist der letzte aus der politischen Spitze der DDR, der sich äußern kann. Wer ein ausgewogenes Bild der letzten Jahrzehnte der DDR gewinnen will, sollte dieses Buch in seiner Lektüre berücksichtigen. rvKrenz, Egon: Gestaltung und Veränderung. Eulenspiegel Verlagsgruppe, edition ost, 2023.