„Ja, ich muss neuerdings täglich ein halbes Kilo Fleisch zufüttern“, erklärt Tackmann: „Der Hahn ist ja nicht mehr da. Er lag kürzlich tot auf dem Dach. Warum auch immer. Ich weiß es nicht.“ Dass es den kleinen Schleiereulen trotzdem gut geht, sieht er über die Kamera, die im Nistkasten installiert und via W-Lan mit dem Hausnetz verbunden ist. Die Eulen sind seit vier Jahren hier, die Kamera habe ich seit vorigem Jahr. Jetzt gibt es für Interessierte von mir einmal pro Woche eine Wasserstandsmeldung“, erzählt er.
Warum er nicht gleich einen Livestream freischaltet? „Wie das technisch geht, da müsste ich mich erstmal erkundigen. Jetzt genügt das aber so.“
Dank der Technik bemerkte Tackmann auch, warum voriges Jahr alle sieben Küken plötzlich weg waren. „Die hat ein Marder geholt.“ Auch davon gibt es dramatische Aufnahmen. „Daraufhin habe ich für dieses Jahr alles noch eine Nummer sicherer gemacht.“ Es sind wieder sieben Küken, die nun täglich ums Futter kämpfen. „Da darf man aber nicht eingreifen. So leid es einem beim Anblick auch tun mag, wenn die Eltern mit einer Maus kommen und das größere Küken es dem kleineren andauernd wegnimmt“, sagt Sigrid Schumacher. Sie guckte im benachbarten Amt Neustadt in Lohm einst regelmäßig „Eulenkino“. Tackmann ist in der Region schließlich längst nicht der einzige, der das Leben „seiner“ Schleiereulen rund um die Uhr verfolgt. „Bei uns lief das aber über Kabel, Kabelfernsehen sozusagen“, erklärt die Lohmerin. Sie spricht in der Vergangenheit, weil sie seit vorigem Jahr statt Eulen plötzlich Falken im Nistkasten hatte und in diesem Jahr gar kein Vogel darin brütete.
Ohnehin lief das Eulenkino nie ganz störungsfrei. „Andauernd verschmutzten Staub und Dreck die Linse.“ Bei Tackmann indes gab es solche Probleme bisher nicht. „Spinnweben hatten das Bild mal beeinträchtigt, bis die Eulen dagegen kamen und alles wieder frei war.“
Auch bei Frank Nebelin liefert die Kamera seit vorigem Jahr regelmäßig klare Bilder, sogar in Farbe. „Bevor ich die Kamera hatte, musste ich dauernd hochklettern, um mich zu versichern, ob bei den Tieren auch wirklich noch alles gut ist“, erzählt der Eulenfan aus dem ebenfalls im Amt Neustadt gelegenen Stüdenitz.
Am Dienstag war Ornithologe Jürgen Kaatz bei ihm, wie voriges Jahr schon. Nebelin, bei dem 2019 erstmals Schleiereulen eingezogen waren, lässt sie mittlerweile freiwillig beringen. Kaatz ist in der Region ansonsten auch oft im benachbarten Zernitz-Lohm und den zugehörigen Ortsteilen mit Günter Kopka unterwegs, um Eulen zu beringen.
Und Kaatz ist nicht der einzige, bei dem die vielen Anfragen nach Beringung eingehen. Auch Freizeit-Ornithologe Anselm Ewert ist dafür seit Jahren in der Region unterwegs, speziell im Altkreis Kyritz. Der Mann, der beruflich in der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises OPR in Neuruppin anzutreffen ist, sammelt Daten über die Lebenswelt der Eulen. Diese erstrecke sich erfahrungsgemäß nur einige Kilometer um ihren ursprünglichen Geburtsort herum. Bis zu 30 Kilometer können es sein.
„Es sind ja keine Zugvögel. Trotzdem gibt es ziemlich ungewöhnliche Ausreißer“, weiß Ewert. So schaffte es eine Eule aus Lohm bereits bis nach Belgien. Dort kam sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Und solche Totfunde seien in der Regel auch die häufigsten Wiederentdeckungen. Möglich wird das über die Datensammlung der Markierungszentrale der Vogelwarte Helgoland.
Ewert, der Ende der 1980er anfing, auf Kirchtürme zu klettern, um Schleiereulen zu suchen, beringt ansonsten Dohlen. Diese wie auch Schleiereulen kamen im Zuge vieler Kirchensanierungen einst in eine echte „Wohnungsnot“. Denn ihre Nistplätze wurden vor allem wegen des massenhaft anfallenden Kots „gerne einfach zugemacht“, erklärt er.
Um so wichtiger wurde derweil das Engagement vieler Privatleute. Auch deren Eulenkästen dürften laut Ewert dazu beigetragen haben, dass der Bestand heute wieder zufriedenstellend ist.
Mehr noch, sagt Ewert: „Der Bestand ist eigentlich so gut, dass selbst ich mittlerweile den Überblick verloren habe.“ Und auch die zuletzt vielen „mäusefreundlichen“ Trockenjahre dürften ihren Anteil dazu beigetragen haben.
Dass Eulenkästen zunehmend mit Kameras ausgestattet werden, findet Ewert „nicht schlecht“. Die Kameras würden einerseits die Tiere nicht stören, andererseits könnten solche Bilder zu einem besseren Verständnis für die Tiere auch in der weiteren Bevölkerung beitragen – für eine auch in der Zukunft noch gute Population.
Während Ornithologe Kaatz am Dienstag in Stüdenitz Schleiereulen beringte, wurde Ewert gerade nach Wusterhausen gerufen. Dort schlüpften mehrere Eulen an einem laut dem Experten „ungewöhnlichen Ort“, und zwar in einer Jägerkanzel. „Diese Eulen sind ja Kulturfolger, folgen uns in die Siedlung. Hier im Wald ist das schon bemerkenswert.“
Drumherum haben sich aber auch andere Artgenossen vermehrt, berichtet der Wusterhausener Lothar Schnick, der die Tiere in der Kanzel entdeckt hatte. „Wir haben Waldohreulen und den Waldkauz.“ Aber auch von einem Uhu nahe der Stadtmitte am sogenannten Volksgarten soll schon länger die Rede sein. Die jungen „Kanzel-Eulen“ wurden indes reduziert – offenbar von Waschbären oder Mardern. Am Dienstag war nur noch ein Küken übrig. Während ihr dramatisches Leben dort niemand mit einer Kamera verfolgte, ist für die flauschigen Filmstars aus Stüdenitz, Tornow und anderswo das nächste Kapitel in Sicht: Sie werden flügge. Nach gut sechs Wochen dürfte das erste Jungtier auch bei Uwe Tackmann bald ausziehen. Dann folgt eines nach dem anderen. Die Schleiereulen legten schließlich alle zwei Tage ein Ei, wonach die Küken entsprechend zeitversetzt schlüpften und sich ebenso zeitversetzt entwickeln. Im Gegensatz etwa zu Hühnern oder Enten. Matthias Anke