Als am 9. November 1989 die DDR ihre Grenzen öffnete, ergab sich schnell die Frage, wie es im Westen und im Osten Deutschlands mit der Eisenbahn weitergehen sollte. Das wurde die Herausforderung für Wolfgang Scherz, der von 1990 bis 1994 verantwortlich an der Zusammenführung von Deutscher Reichsbahn und Deutscher Bundesbahn beteiligt war. Scherz (*1949) arbeitete seit 1973 bei der Bundesbahn und ab 1986 in deren Hauptverwaltung. Überrascht musste er erkennen, dass die Staatsbahn in der DDR effizient arbeitete, während für die Bundesbahn bis Ende des Jahrzehnts eine Verschuldung von 140 Milliarden DM erwartet wurde. Es war jedoch auch erkennbar, dass die Infrastruktur der Reichsbahn trotz der schwarzen Zahlen völlig marode war.
Der Autor erinnert in seinem Buch „Auf neuen Gleisen“ an die Entwicklung der Bahn in den Jahrzehnten, die der deutschen Vereinigung vorausgingen, erzählt von seinen Eindrücken und Erfahrungen im Zeitalter der Dampfloks, von Streiks und Witterungseinflüssen, vom Verhältnis Straße – Schiene, hauptsächlich aber von neuen Ideen, wie das Eisenbahnwesen im vereinigten Deutschland weiter entwickelt werden sollte. Scherz beschreibt, welche praktische Maßnahmen tatsächlich ergriffen wurden, welche Überlegungen dahinter standen, wie man eine gemeinsame Sprache fand, worin die Unterschiede zur Treuhand bestanden und weshalb es bei beiden Bahnen keine betriebsbedingten Kündigungen gab. Detailliert in Zeiten, Orten, Verwaltungsvorschriften und Persönlichkeiten schildert Scherz seine damalige Arbeit. Selbst auf den ersten Blick simple Aufgaben mussten gelöst werden, wie die Zusammenführung der 1945 durchtrennten Nachrichtenverbindungen (BASA), das Telefonsystem der Bahn stammte teilweise noch aus den dreißiger Jahren. Die erste Leitung, die wieder funktionierte, war übrigens die von Hamburg nach Schwerin.
Der Autor bezeugt Irrwege, Missverständnisse, kriminelle Machenschaften, aber auch den Respekt untereinander und gegenüber allen, die - egal ob unter kapitalistischen oder sozialistischen Bedingungen - bei der Bahn gearbeitet hatten. Er bestätigt, dass es auch in der Deutschen Reichsbahn fachlich hervorragende, moderne Richtlinien gab, mit denen man hätte weiter arbeiten können. In seinem mitunter sehr persönlichen Rückblick vergisst er nicht die Menschen in seiner unmittelbaren Nähe, die Kraftfahrer, die Büroleiterin, die Sekretärinnen im Vorstandsbüro, den Leiter der ersten Projektgruppe. Sein Resümee: Freundschaft ist systemunabhängig, ein unvoreingenommener Umgang mit Menschen eröffnet neue wundervolle Möglichkeiten. Die Eisenbahner haben es bewiesen. rvScherz, W.: Auf neuen Gleisen. Das Neue Berlin, 2024.