Plötzlich sind sie alle wieder da, die Gerüche der Kindheit. Das Desinfektionsmittel, die Reinigungsspäne, die Seifen in der alten Drogerie. Andreas Montag, der Autor der Erzählung „Der Geruch des Ostens“, hat in vielen Berufen gearbeitet, studierte am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ und war ab 1996 für viele Jahre Leiter des Kultur-Ressorts bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle (Saale). Er nimmt uns mit auf eine Reise in die thüringische Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist. Das uneheliche Kind, das „der Esel im Galopp“ verloren hat. An jeder Hausecke erinnert er sich. Und nicht nur an die Gerüche, an die Menschen, sondern an ihre Worte, an ihre Sprache, das dahinter stehende Denken. Für heutige Ohren klingt das alles wie aus einer fernen Vergangenheit, nationalistisch, rassistisch antisemitisch, und doch sehr vertraut für die Ohren vieler Leser, die in den 50er und 60er Jahren wie der 1956 geborene Montag aufgewachsen sind. Ja, genauso wurde gedacht, gesprochen. Von Menschen, die ihre eigene Jugend in den zwölf Jahren faschistischer Vergangenheit verbracht hatten, von ihr geprägt, oft überzeugt waren. Dort wurden Bilder von Juden, Russen und von deutschem Heldentum geprägt, die noch lange in den Köpfen saßen. Es gab andere, neue, hoffnungsvolle Töne. Töne, die den Abiturienten Montag zum Mitglied der „Partei der Arbeiterklasse“ werden ließen. Lebenserfahrungen der Älteren und neue Weltanschauungen standen im Widerstreit, weckten Zweifel, die sich erst später mit eigenen Erfahrungen verbanden. Und über manches Leidvolle wurde gar nicht gesprochen, verdrängt von den Tätern ebenso wie von den Opfern und auch in der offiziellen Geschichtsbetrachtung nicht gefragt.
Diese Erzählung beschönigt nicht, verklärt nichts, verdammt aber auch nicht. Eher ist es eine mitunter mit atemberaubenden Tempo vorgetragene Momentaufnahme, selbst sehr persönliche Erlebnisse werden in nur wenigen Sätzen beschrieben, bis der Autor dann das Tempo wechselt, um sich einem - damals kaum beachteten Frauenschicksal – zuzuwenden. Er lässt am Ende offen, was daran Realität, was Fiktion ist. Aber wer sich zurückerinnert, wird sich hinter Menschen, die ihm selbst begegneten, ein gleiches Schicksal vorstellen können. Ein Buch, das auf eine ganz besondere Weise einige Jahrzehnte zurückführt, von einer Zeit erzählt, die vergangen ist, aber eine ganze Generation geprägt hat. rvMontag, A.: Der Geruch des Ostens. Quintus Verlag, 2024.