„Palliative Behandlung bedeutet nicht, dass die betroffenen Menschen alle kurz vor dem Tod stehen. Viele leben Jahre mit einer palliativen Diagnose“, sagt Juliane Schößler, Betriebsleiterin des Zentrums. Und auch, wenn nur noch wenig Lebenszeit bleibt, gilt: „Wir möchten den Menschen ermöglichen, diese Zeit möglichst individuell zu gestalten“, so Juliane Schößler. Unter einem Dach vereint das Zentrum unterschiedliche Versorgungsformen: der Palliativstützpunkt, eine Hausarztpraxis, acht Kurzzeitpflegeplätze, der ambulante Pflegedienst „Hospa mobil“ sowie zwölf sogenannte Palliativwohnungen – barrierefreie Apartments für Menschen mit Pflegebedarf – gehören zum Angebot. Der Palliativstützpunkt koordiniert die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in der Region für 200 000 Menschen in den Kreisen Ostprignitz-Ruppin, Prignitz und Oberhavel. Hier werden Versorgungsnetzwerke gebildet, Fortbildungen organisiert und Angehörige beraten.
„Nicht jede Familie kann zu Hause pflegen. Viele ältere Menschen leben allein, ihre Angehörigen oft weit entfernt“, sagt Stephan Michelis, Geschäftsführer der Prignitz-Ruppiner Hospizgesellschaft. „Hier setzen wir an: mit einem abgestuften, flexiblen Angebot, das sich an die Bedürfnisse der Bewohner anpasst.“ Während in einem Hospiz meist Menschen aufgenommen werden, die eine intensive Sterbebegleitung benötigen, richtet sich das Konzept des palliativen Wohnens an Betroffene, deren Krankheit zwar nicht heilbar ist, die aber mit Unterstützung noch selbstbestimmt leben können. Die Pflege erfolgt ambulant durch spezialisierte Fachkräfte. Auch der Ambulante Hospizdienst Neuruppin (AHD), betrieben vom Ruppiner Hospiz e.V., ist Teil des Zentrums und bietet Sterbebegleitung sowie psychosoziale Unterstützung. Die Gesamtinvestition für das Projekt liegt bei rund 4,9 Millionen Euro, der Eigenanteil der Betreiber bei 1,9 Millionen Euro. Finanziert durch Bundesförderung, lokale Träger und Spender, soll das Zentrum eine dauerhafte Versorgungslücke in der Region schließen.
Die Idee des Projekts entstand bereits 2020, als das Bundesfamilienministerium ein Förderprogramm zur Stärkung palliativer Quartiersstrukturen ausschrieb. „Unser Konzept ist eines von zehn bundesweit, das die Förderung bekommen hat“, sagt Stephan Michelis. Gemeinsam mit Architekten aus der Region und der Stadt Neuruppin wurde das Projekt konkretisiert. Die Stadt stellte ein Grundstück im 99-Jahre-Erbbaurecht zur Verfügung – rund 6000 m² auf dem ehemaligen Gelände der Schönbeckschen Brauerei. Das historische Klinkergebäude mit dem Eiskeller bleibt erhalten und ist heute ein zentraler Bestandteil des neuen Campus.
Den Bauantrag reichten die Betreiber im Herbst 2022 ein, die Bauarbeiten begannen noch im selben Jahr. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen wurde die erste Etappe des Projekts nun planmäßig fertiggestellt. Am 19. Juni wurde das Zentrum feierlich eröffnet. Im neuen Haupthaus haben die Hausarztpraxis der Ärztin Maren Thierock, der ambulante Pflegedienst „Hospa mobil“ und der regionale Palliativstützpunkt bereits den Betrieb aufgenommen. Ab Juli sollen auch die ersten Gäste in die Kurzzeitpflege aufgenommen werden.
Die zwölf Palliativwohnungen im dritten und vierten Obergeschoss sind nahezu bezugsfertig – zwei davon auch für Paare geeignet. Die Nachfrage sei hoch, Besichtigungstermine laufen. „Viele möchten die Wohnung als echten Lebensmittelpunkt nutzen“, sagt Juliane Schößler. Das Palliativzentrum versteht sich als Modellprojekt: Es will zeigen, wie Versorgung am Lebensende menschlich, nah und ganzheitlich gedacht werden kann – auch als Alternative zu wiederkehrenden Aufenthalten in Krankenhäusern, die für Palliativpatienten oft die Regel sind. Insbesondere, wenn gerade keine Hospizplätze in der Region frei sind.
Zwei weitere Ausbauschritte stehen noch an: In einem angrenzenden Bestandsgebäude sollen bis Ende 2025 zusätzliche Büroräume entstehen. 2026 folgt der dritte Bauabschnitt: studentisches Wohnen. 25 bis 28 WG-Plätze sind geplant, bevorzugt für angehende Pflege- oder Medizinkräfte, die sich auch ins Zentrum einbringen sollen. Auch der historische Eiskeller soll künftig als Ort der Begegnung genutzt werden: für Kulturveranstaltungen, Seminare und Ausstellungen.
Stephanie Drees