Spieglein, Spiegleinan der Wand

Cover: Verlag

Die Frage stellt nicht nur die böse Stiefmutter im Märchen. Und sie ist nicht neu: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Sind wir im Laufe der Jahrtausende immer schöner geworden? Ein Vergleich der Abbildungen von Neandertalern mit den Fotos auf den Hochglanzseiten der Illustrierten lässt diese Erwartung bejahen. Der Fortschritt, schreibt die Musikwissenschaftlerin Rabea Weihser in ihrem Buch über die Biografie des Gesichts, ist mit uns. Soziale Medien und das Smartphone haben dazu beigetragen, auf den Handybildschirm passt ein Gesicht perfekt, und die Kosmetikindustrie kann jeden erreichen.

Was ist überhaupt Schönheit, was finden Menschen schön? Auf über 315 Seiten sucht die Autorin, die über zehn Jahre das Kulturressort von Zeit Online leitete, nach der Antwort. In einzelnen Kapiteln betrachtet sie Haut, Profil, Augen, Brauen und Lippen, fragt nach Idealen und Makeln, schaut hinter Masken und stellt sich dem Älterwerden. Sie zeigt, dass – vor allem für Frauen – Mut dazu gehört, sich zum Alter zu bekennen. Die biologischen Prozesse werden erklärt, praktische Tipps beziehen sich auf das Nachdenken, nicht das Nachkaufen.

Das Streben nach Attraktivität, Schönheit und Ausstrahlung bietet sich an, um in Anekdoten und Anspielungen auf unzählige Prominente aus Vergangenheit und Gegenwart und ihre Erfahrungen mit dem Aussehen einzugehen und die wechselvolle Geschichte der Schönheitsideale zu analysieren. Das geschieht witzig, aber nicht im plaudernden Boulevardstil, sondern auf wissenschaftlicher Grundlage. Vom Schlafzimmerblick der Monroe und dem Leberfleck von Cindy Crawford erzählt Weihser ebenso wie von den Teilen der menschlichen DNA, die für dichten Augenbrauenwuchs verantwortlich sind. Wechselbeziehungen von Schönheit und Karriere, Sexualität und Ausstrahlung, die Midlife Krise, die Anti-Aging-Industrie und die automatische Gesichtserkennung sind weitere Themen. Die Zitate und Quellen dazu werden im Anhang, der zudem ein Literaturverzeichnis beinhaltet, exakt nachgewiesen. Am Schluss steht die Empfehlung, nicht nur das eigene Gesicht zu betrachten, sondern sich auch die Gesichter unserer Gegenüber genauer anzusehen, sie erzählen ein Leben. rv

Weihser, R.: Wie wir so schön wurden. Diogenes, 2025.

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