Als mein Blick dieser Tage auf einen unserer Apfelbäume fiel, wollte ich zuerst meinen Augen nicht trauen. Das Bäumchen trug an zwei Ästen üppige Blütenstände, die auch schon von Bienen angeflogen wurden. Eine Apfelblüte im September? Kann das sein?
Tatsächlich bilden sich die Knospen für das kommende Frühjahr ganz regulär schon zu dieser Zeit heran. Normalerweise verhindert aber eine Austriebshemmung, dass sie sich öffnen. Erst wenn der Winter mit einer kältebedingten Ruhephase vorbei ist, wird die Hemmung aufgehoben und die Blüte kann beginnen. Es kommt aber immer wieder vor, dass dieser Rhythmus durcheinandergerät. Fachleute für Obstbau kennen dafür mehrere Gründe, zum Beispiel einen starken Rückschnitt im Sommer, schwere Hagelschäden oder auch eine lange Trockenheit, auf die im Spätsommer eine feuchtwarme Periode folgt. Allgemein gesprochen geht es um Stress, den die Pflanze verspürt hat. Auch strenger Frost in der Blütezeit fällt darunter.
Letzteres dürfte in diesem Fall der Auslöser für die späte Notblüte gewesen sein. Ende April gab es dieses Jahr im ganzen Land Brandenburg einige Nächte mit Temperaturen weit unter null Grad. So ungewöhnlich ist das in dieser Jahreszeit zwar nicht. Allerdings waren außergewöhnlich milde Wochen vorangegangen. Dadurch war die Entwicklung der Obstkulturen weiter fortgeschritten, als es sonst zu diesem Zeitpunkt üblich ist. Die Kälte konnte die Blüten fast flächendeckend vernichten. Bei manchen Obstbauern fiel die Apfelernte komplett aus, die Erträge in Brandenburg gingen um 80 Prozent zurück auf den niedrigsten Wert seit 1991, so hat es des Statische Landesamt gerade gemeldet.
In unserem Garten habe ich im April einige Äste mit Vlies eingehüllt, so dass sich immerhin ein paar Äpfel gebildet haben. Aus den späten Blüten im September werden sich nun möglicherweise auch Fruchtansätze herausbilden, die allerdings vor dem Winter kaum mehr zur Reife kommen können. Besser ist es, sie frühzeitig abzuschneiden, damit der Baum keine Energie mit dem nutzlosen Versuch vergeudet, 2024 doch noch mehr Obst zu erzeugen. Hoffen wir auf 2025: Wird im kommenden Frühjahr der Temperaturverlauf weniger durch Klima-Kapriolen durcheinandergebracht, könnte es eine gute Ernte im Land Brandenburg werden.
In der Weihnachtszeit gibt es übrigens einen Brauch, der sich die Möglichkeit eines frühen Blütenaustriebs zunutze macht: die Barbarazweige. Dazu werden am 4. Dezember, dem Tag der heiligen Barbara, Zweige von Obstbäumen abgeschnitten und in die Vase gestellt. Bis zum Weihnachtsfest kommen sie dann zur Blüte. Hilfreich ist es, wenn es vorher schon Frostnächte gegeben hat, dann ist nämlich die natürliche Austriebshemmung aufgehoben. In einer milden Adventszeit empfiehlt es sich, die abgeschnittenen Zweige zunächst für eine Nacht in den Gefrierschrank zu legen. Ulrich Nettelstroth