Indes berichten die Erzählungen der christlichen Weltreligion aber auch von Josef als verantwortungsvollen männlichen Elternteil. Dem Matthäusevangelium zufolge flieht er mit der Familie nach Ägypten, um Jesus dem Zugriff des römischen Marionettenkönigs Herodes zu entziehen, der alle Kleinkinder im Raum Bethlehem ermorden lassen will.
Oder war Josef schon der erste moderne Mann, der Windeln wechselte, Süppchen kochte und als Anpacker im Hintergrund glänzte? War die heilige Familie „modern“, wie die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, glaubt? Auch Johann Hafner, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam meint, „dass wir es quasi mit einer Patchworkfamilie zu tun haben“: Mutter Maria, „Zieh- und Stiefvater sowie Ernährer Josef“ nebst unehelichem Kind.
Auch der Umgang untereinander erinnert an zeitgenössische Partnerschaften. „Jesus geht seine Eltern teils respektlos an“, so Hafner. Etwa als sie den – wie im Lukasevangelium beschrieben – verschwundenen Zwölfjährigen im Wallfahrtgetümmel nach drei Tagen im Tempel wiederfinden und er Vorwürfen Marias entgegnet, dass er schon „im Hause seines Vaters“ sei. Hafner: „Keine Idealfamilie, wie sie in kitschigen Gemälden abgemalt wird.“
Schon zu Zeiten der ersten öffentlichen Auftritte Jesu ist in den heiligen Schriften nicht mehr die Rede von ihm, weil er offenbar bereits tot ist. Das Jakobusevangelium – nicht Teil der Bibel – erklärt es so: Josef trat in der Jesus-Geschichte auf, als er schon Witwer einer früheren Ehe war. Als Mann in reiferen Jahren ehelichte er nach der Aufforderung eines Engels und auf Geheiß der Priester die Tempeljungfrau Maria. Meist wird Josef als Zimmermann bezeichnet und in einen sozialpolitischen Kontext eingebaut. Papst Pius XII hatte 1955 den 19. März zum Gedenktag „Josef der Arbeiter“ erklärt. Der heutige Papst Franziskus erinnerte auch daran und machte 2021 zum „Jahr des heiligen Josef“. Hafner greift die Tradition auf, gibt aber zu bedenken, dass der in Evangelien genutzte Begriff eventuell falsch übersetzt und als Schreiner assoziiert wurde: „Josef war Tagelöhner auf Baustellen in Nordisrael, also Bauarbeiter. Wahrscheinlich hat auch Jesus diese Erfahrung gemacht. Das erklärt, warum er oft Bilder vom Bauen und von Tageslohn nutzt.“
Für das Christentum selbst birgt die vermeintliche Randfigur Legitimationsaspekte. Nicht zuletzt war Josef 1870 von Papst Pius IX zum Schutzpatron der katholischen Kirche erklärt worden. Zwei Evangelien zeichnen Stammbäume für Josef auf, die bis auf den König von Juda, David, zurückgehen. Das Christentum konnte so die Prophezeiung, dass ein Messias kommen werde, auf Jesus Christus beziehen und sich als Nachfolge-religion des alten Israel darstellen. Es ist nicht unmöglich, dass der Galiläer Josef als Nachfahre Davids angesehen wurde. Nicht zuletzt steht Josef für eine in der Bevölkerung verwurzelte Frömmigkeit. Zahlreiche Bruderschaften berufen sich auf ihn, ein Potsdamer Hospital, das Josefs-Krankenhaus, ist nach ihm benannt. Gerald Dietz