Wir nahmen unser Schicksal an – Jürgen Tatzkow erzählt, wie es sich als Sohn eines Spions lebte

Cover: Verlag

Jürgen Tatzkow (*1953) hat erlebt, dass die Welt kompliziert ist, dass es nicht auf jede Frage eine Antwort gibt und selbst wenn, dass diese Antwort nicht weiterhilft.

Er hat das erlebt in der eigenen Familie und kann den Ausgangspunkt seiner Fragen sogar an einem konkreten Datum festmachen, dem 17. August 1968, als in der elterlichen Wohnung bei einer staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung ein Mini-Empfänger mit Kopfhörern und ein Codebuch gefunden werden, Beweise einer Agententätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst CIA. Beide Eltern werden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Außergewöhnlich ist die Perspektive des Erzählers, der ohne Pathos aus der Sicht der „Agentensöhne“ berichtet, was während und nach der Inhaftierung der Eltern geschah, wie man mit den Halbwüchsigen umging, wie sie zurechtkamen. Er tut das in seinem Buch „Mein Vater, der Spion“ ohne Groll: „Wir nahmen unser Schicksal an“. Und er erzählt, wie es sich in einer Familie von Spionen lebte, die in der DDR-Gesellschaft unauffälliger nicht sein konnten, und deshalb erst nach zehn Jahren enttarnt wurden.

Jürgen Tatzkow und sein Bruder mussten feststellen, dass sich ihre Eltern nicht dafür interessierten, was aus ihnen würde, wenn sie auffliegen. Sie zeigten keine Rücksicht. Tatzkow beschreibt den Weg seines Bruders und seinen eigenen, der über die Lehre zum Werkzeugmacher und über die Abendschule zum Abitur, später zum Studium führte. Er war Lehrer, Schulleiter und durfte nach teilweise entwürdigenden Prozeduren auch nach 1990 im Schuldienst bleiben.

Immer wieder spielten die Geschichte seiner Eltern und seine eigene Verbindung zur Staatssicherheit als 17-Jähriger in sein Leben hinein. Jürgen Tatzkow hat einen erfolgreichen Weg genommen. Weniger erfolgreich war allerdings die Suche nach den Motiven, die seine Eltern angetrieben haben. Etwas Aufschluss gaben die Akten der Staatssicherheit. Vonseiten der CIA war keinerlei Bereitschaft zu erkennen, die Hintergründe aufzudecken.

Blieben die biografiebezogenen Gespräche, die Jürgen Tatzkow mit seinem Vater Horst kurz vor dessen Tod führte und im zweiten Teil des Buches detailreich aufbereitet.

Warum wurde aus dem CIA-Agenten ein Berater und Gutachter des MfS? Ein Doppelagent – nebeneinander oder nacheinander? Viele Fragen blieben offen, Antworten sind nur Vermutung. Wer als Leser dieser Spurensuche folgt, schaut hinein in eine Zeit, die nur scheinbar weit zurückliegt, und deshalb weit über die Reflexion der betroffenen Familie hinausgeht. rv

Tatzkow, Jürgen: Mein Vater, der Spion. Edition Ost, 2025. 256 Seiten.

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