Der Autorin Eveline Schulze, die nach den Journalistikstudium selbst bei der Kriminalpolizei tätig war, geht es nicht darum, die Leser mit auf Tätersuche zu nehmen. Sie interessiert sich dafür, wie jemand zum Täter wird. Warum jemand, der ein scheinbaren normales Leben führt, plötzlich Menschen ermordet. Sie erzählt diese Fälle chronologisch, vom Beginn der Beziehung bis hin zur Verurteilung.
Der Leser weiß von vornherein, wer Täter und meistens auch, wer das Opfer wird. Er kann sich darauf konzentrieren, wie sich die geschilderten Verhältnisse entwickeln.
Dank ihrer kriminalistischen Sachkenntnis schildert Eveline Schulze genau, wie die Verbrechen begangen wurden, wie sie entdeckt wurden, wie die Kriminalisten vorgegangen sind. Sie beschreibt und erläutert rechtsmedizinische Gutachten und kriminaltechnische und psychologische Zusammenhänge. Die Brutalität mancher Verbrechen geht unter die Haut.
Die sechs Geschichten sind angereichert durch historische Fotos, Gerichtsberichte aus der Zeitung und aktuelle Ortsbeschreibungen. Die Autorin stellt die handelnden Personen als leibhafte Menschen dar, mit Marotten und Eigenheiten bis in den Umgang untereinander oder die Kleidung. Sie spottet manchmal über die Diskrepanz zwischen männlichem Wollen und Können, aber mehr ist sie traurig darüber, dass die Erinnerung an die Opfer verlöscht.
Ihre Erzählungen gehen über den Kriminalfall hinaus auf das Zeitgeschehen im Osten Deutschlands ein. Sie beschreiben gesellschaftliche Umstände, wie die schwierige Wohnungssuche oder Engpässe bei der Versorgung und daraus resultierende Schiebereien, den Nutzen guter Beziehungen, den Umgang der Menschen miteinander zwischen Solidarität und Blockwartmentalität. Authentisch sind die geschilderten Straßen und Betriebe, oft auch die Namen der handelnden Personen. Die Zeitspanne reicht vom Ende des zweiten Weltkrieges in der durch die Neiße geteilten Stadt bis in die Gegenwart, von Brotmarken bis zur „Jawa-Bande“, von Goldbroilern bis in die Fernsehsendung „XY ungelöst.“ rvSchulze, Eveline: Görlitzer Goldbroiler. Das Neue Berlin, 2023