In der Praxis sieht das aber ganz anders aus. Längst nicht alle Ärzte stellen das elektronische Rezept aus. Deshalb stehen in der Apotheke von Claudia Rückborn in Wusterhausen auch täglich Patienten mit ausgedrucktem QR-Code, Versichertenkarte oder rosa Zettel in der Hand. Das sind derzeit die drei Möglichkeiten, mit denen Patienten an ihre Medikamente kommen.
Usus sollte es seit dem 1. Januar sein: Die Versichertenkarte wird in der Apotheke am Computer ausgelesen. Dann weiß der Mitarbeitende, welches Medikament er herausgeben soll. Diese Information wurde zuvor in der Arztpraxis freigegeben. Das geschieht aber nicht etwa auf der Karte. „Die Informationen werden an eine Cloud gesendet, auf welche die jeweilige Apotheke über die Versichertenkarte zugreift“, erklärt Claudia Rückborn. Beim ausgedruckten QR-Code läuft es ähnlich: Die Informationen sind im Code gespeichert. Der wird in der Apotheke gescannt und ausgelesen.
Das rosa Rezept kennt jeder. Seit dem 1. Januar sind alle Ärzte verpflichtet, E-Rezepte auszustellen. Aber die Technik dafür funktioniert in den Praxen oft nicht. Oder es sind die Datenleitungen, welche die Datenlast nicht bewältigen können, wenn tausende Ärzte auf einmal auf den Server oder auf die Cloud zugreifen. Claudia Rückborn sagt, dass im Zusammenhang mit dem E-Rezept die Versichertenkarte der Krankenkasse wieder eine ganz neue Bedeutung bekommt. „Sie ist der Schlüssel zur Dienstleistung“, sagt die Apothekerin. Man muss sie beim Besuch in der Apotheke dabeihaben, um ein E-Rezept einzulösen.
Ein Drittel der Patienten kommt nach wie vor mit rosa Zetteln in die Lilien-Apotheke in Wusterhausen. Das sind zwar deutlich weniger als im vergangenen Jahr, zeigt aber auch, dass das elektronische Rezept nicht Usus ist. Dabei müssten es alle Ärzte prinzipiell ausstellen, denn weigert sich ein Arzt oder eine Ärztin grundsätzlich, kann ihm oder ihr als Konsequenz ein Prozent vom Umsatz der Praxis gestrichen werden.
Karin Harre, Vorsitzende des Brandenburger Hausärzteverbandes und Ärztin in Walsleben, sagt: „Das ist schon eine merkbare Größenordnung.“ Erstmals werde die Regel im April dieses Jahres wirksam, wenn die Ärzte ihre Quartalsabrechnung einreichen. „Ich hoffe, dass es bis dahin eine Lösung gibt, auch für diejenigen, die es einführen wollen, aber zum Beispiel datentechnisch dafür nicht aufgestellt sind.“ Karin Harre denkt da besonders an den ländlichen Raum.
Die Hausärztin ist froh, dass bei ihr inzwischen die elektronische Krankmeldung (EAU) funktioniert. „Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, bis alles reibungslos lief“, sagt sie. Das Problem ist für sie, dass die meisten Systeme mit denen in den Arztpraxen gearbeitet wird, einfach veraltet sind.
Und dann komme noch dazu, dass alle Praxen mit unterschiedlichen Programmen auf eine Cloud zugreifen. Glück habe, wer mit neuer Software arbeitet. Sie kann aber auch die Kollegen verstehen, die wegen absehbarer Praxisaufgabe jetzt sagen, dass sie nicht noch einmal etwas Neues anfangen. Auch für diese Ärzte müsse es eine Lösung geben, findet Karin Harre. Das E-Rezept jetzt mit einer Art Zwang und unter Zeitdruck einzuführen, bringe gar nichts. „Alle Praxen sind damit überfordert“, sagt sie. „Lieber abgestuft und mit einer Übergangslösung, das hätte ich besser gefunden“, sagt Karin Harre.
„Wir brauchen das nicht. Wir wollen Kranke gesund machen und sind keine Informatiker.“ Diese klaren Worte findet die Kyritzer Medizinerin Heidi Seifert. Das E-Rezept gibt es bei ihr nicht. „Wir sind froh, dass die EAU funktioniert“, sagt Sprechstundenhilfe Birgit Rohde mit Bezug auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Sie ist diejenige, die sich mit der Technik auseinander setzen muss. Das hat sie bisher noch nicht geschafft, denn an ihr und ihrer Kollegin hängt der gesamte Praxisalltag, die Organisation. „Wir haben so schon sehr viel nachzuarbeiten, da schaffen wir gerade nicht noch etwas Neues“, sagt Birgit Rohde. Sie schließt nicht aus, dass Patienten auch in der Praxis Seifert ein E-Rezept bekommen. „Aber sicher nicht in den nächsten Wochen“, sagt sie.
Frank Fürstenberg, Inhaber der Kreis- und der Fontane-Apotheke in Kyritz, sieht beim Ausstellen des E-Rezeptes noch ein Problem. Es wird zwar in den Praxen erstellt, kann aber oft erst am nächsten Tag in der Apotheke abgeholt werden. Das liege an der Art, wie Rezepte in den Praxen freigegeben werden, einzeln oder im Bündel. Somit seien für viele Patienten zwei Wege notwendig, der zum Arzt und am nächsten Tag zur Apotheke. Meist mit dem Auto. „Nachhaltig finde ich das nicht“, sagt Frank Fürstenberg.
Die Technik funktioniere gut bei ihm, sagt er. Es spricht auch von einer Erleichterung. Denn durch das elektronische Rezept ist weniger Papier notwendig. Und das Bedrucken der rosa Rezepte in der Apotheke entfällt als Arbeitsschritt. Außerdem sieht er für die Patienten den Vorteil, dass sie wegen der Medikamente nur noch einmal im Quartal zum Arzt müssen. Eine weitere Verordnung ist per Anruf in der Praxis möglich.
Frank Fürstenberg ist sich sicher, dass die Ärzte noch eine längere Zeit zweigleisig fahren müssen. Denn für Privatpatienten gibt es zum Beispiel kein E-Rezept. Ebenso gilt das für die Verordnung von Hilfsmitteln, Messstreifen und Betäubungsmitteln. Dafür ist nach wie vor ein Rezept zu drucken.
Bei der Neustädter Rehabilitationsmedizinerin Stephanie Pögel gibt es inzwischen nur noch E-Rezepte. „Ich muss zwar auf einen Knopf mehr drücken als bei einem Rezept auf Papier, aber alles zusammen funktioniert sehr gut“, sagt sie. Sie arbeitet fast ausschließlich mit der Möglichkeit, die Medikamente über die Karte zu verordnen.
Klar seien die Patienten zu Anfang skeptisch und irritiert gewesen, nun keine Zettel mehr zu bekommen, berichtet die Ärztin. Aber sie sagt: „Ich habe mir die Zeit genommen und es ihnen ausführlich erklärt.“ Inzwischen fänden alle Patienten es gut, dass ihnen das Papier erspart bleibt und sie nur noch die Karte brauchen, um ihre Medikamente zu bekommen.
Die E-Rezept-App ist nach Auskunft der Apotheken noch nicht so verbreitet in der Region. Bei Stephanie Pögel war kürzlich eine Patientin, die diese App nutzt. Schon als sie die Arztpraxis verließ, hatte sie das Rezept auf ihrem Smartphone, wie Stephanie Pögel berichtet. Um die App zu nutzen, muss man sich bei ihr mit der Krankenkasse anmelden und freischalten lassen – und natürlich ein Smartphone besitzen. Sandra Bels