Hans-Jürgen Kiefer stammt von der Insel Rügen. Im Ratskeller in Dresden hat er sein Handwerk – das Kochen – gelernt. „Das war damals die größte Ausbildungsstätte für Gastronomie in der DDR“, berichtet er. Rund 60 Lehrlinge haben in zwei Schichten gearbeitet. Es wurde auch für große Betriebe wie Robotron gekocht. Bis zur Wende arbeitete er in Berlin und im Umfeld der Hauptstadt in Gästehäusern als technischer Mitarbeiter für die Staatsführung der DDR. Zwei Jahre lang war er Küchenleiter im Palais unter den Linden am Brandenburger Tor. „So lernte ich hier den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Björn Engholm, die ungarische Staatsführung oder den finnischen Ministerpräsidenten Kekkonen kennen“, berichtet Hans-Jürgen Kiefer. Auch seine spätere Frau Katja lernte er in Berlin kennen.
Und noch eine wichtige Bekanntschaft machte er in den 80er Jahren. Damals absolvierte Kiefer ein Fernstudium zum Küchenmeister: „Als Auszeichnung dafür bin ich zusammen mit anderen Gastronomen 1983 für vier Wochen nach Kuba gefahren. Dort haben wir eine Woche lang gastronomisch gearbeitet und Fidel Castro kennengelernt. Die anderen drei Wochen ging es durchs Land.“
Für den Küchenmeister aus Rügen ging es Anfang 1990 raus aufs Land: Freunde und der Zufall brachten ihn in den Perleberger Ortsteil Dergenthin. Dort wurde in kurzer Zeit über Pacht und später Eigentum ein Landhaus aufgebaut. Sechs Jahre später hatte der Gastronom die Wahl, als Berufsschullehrer in Potsdam zu arbeiten oder eine Brauereigaststätte in Uelzen zu übernehmen. Er entschied sich für die dritte Möglichkeit. Für den Prignitzer Weg. „Im Februar 1996 erschienen der amtierende Perleberger Bürgermeister Dietmar Zigan und der Geschäftsführer der Perleberger Wohnungsgesellschaft (GWG) Klaus Neumann und übergaben uns die Schlüssel für das Hotel Stadt Magdeburg“, erzählt Kiefer. „Kurz davor starb nämlich der langjährige Betreiber des ‚Stama‘, Herr Fock.“
Das Hotel Stadt Magdeburg führte Hans-Jürgen Kiefer bis 2006. Als eines der drei großen Häuser der Stadt Perleberg wackelte auch dessen Existenz zu dieser Zeit. Die Größe der gastronomischen Räume stand in keinem Verhältnis zum Hotelbetrieb. „Sieben einfache Hotelzimmer waren einfach zu wenig.“ Es wurde schließlich unrentabel.
Für Kiefer startete ein neues gastronomisches Kapitel. Aber er blieb in Perleberg. Er übernahm das Gästehaus in der Pritzwalker Straße mit rund 80 Betten. Dies war in den ersten Jahren ein reines Lehrlingswohnheim. Später baute er einen Hotelbetrieb auf niedrigem Niveau auf. Gerade als er in Verhandlungen stand, das Gästehaus zu erwerben, kam ein zweites Mal der GWG-Chef Klaus Neumann auf ihn zu und unterbreitete den Vorschlag, mit einem Hotelanbau das Stadt Magdeburg zu retten. Das war 2016.
Die GWG übernahm die Immobilie und Kiefer den gesamten Inhalt, wie er erzählt. Der Anbau war 2017 fertig. Mit zwölf Zimmern, zum Teil barrierefrei und mit Aufbettung. Seitdem gibt es 19 Doppelzimmer mit 40 Betten im „Stama“. Von nun an entwickelte sich das Haus zu dem, was es früher immer war – ein Haus zum Feiern. Vom Charakter her blieb es aber ein Stadthotel. „Man kann bei uns auch in der Nacht ein Zimmer bekommen. Das ist nicht überall so“, betonte der Hotelier.
Die Corona-Zeit nutzte er für Investitionen. Es entstand ein neuer Tresen, eine Rezeption und auch ein Buffett-System auf Rädern. Dafür wurden rund 100 000 Euro investiert. Mit Erfolg: In kürzester Zeit wurden die Umsätze verdoppelt. Die Zahl der Mitarbeiter stieg von fünf bis sechs auf derzeit zehn bis elf. „Anfang 2000 bekamen wir vom DEHOGA für das Hotel drei Sterne und seit 2001 haben wir drei Sterne S. Das macht auch ein Stück stolz. Mit dem neuen Hotel, der Kegelbahn und ausreichend Parkplätzen sind wir für jede Art von Feiern gut aufgestellt.“ Zum Feiern gehöre natürlich auch Kuchen. Deshalb wurde eine hauseigene Bäckerei eingerichtet, in der sich die Mitarbeiterin Angelika Witt einen guten Namen machte.
Zum unternehmerischen Erfolg gesellte sich leider ein persönlicher Schicksalsschlag. Im vergangenen Jahr starb plötzlich und völlig unerwartet seine Frau Katja. „Unsere Koffer waren schon gepackt, denn zu dieser Zeit zog es uns meistens in die Welt hinaus“, erzählt Hans-Jürgen Kiefer. Unvergessen seien 44 gemeinsame Jahre, geprägt vor allem durch gemeinsame Arbeit.
Seine langjährige Mitarbeiterin Angelika Witt ereilte das gleiche Los. Ihr Mann verstarb ebenfalls 2023. Anfang des Jahres legten Angelika Witt und Hans-Jürgen Kiefer ihre Schicksale zusammen, sie arbeiten und leben gemeinsam. Dieses Jahr wurde Kiefer 70 Jahre alt. Gefeiert wurde zu zweit in Malaysia. „Dafür habe ich das ganze Leben gearbeitet. Früher wurden runde Geburtstage mit 100 Personen im Saal gefeiert. Aber die Zeiten ändern sich.“
Aus dem operativen Geschäft hat sich Hans-Jürgen Kiefer nach mehr als 40 Jahren in der Küche zurückgezogen. „Meine Aufgabe besteht jetzt darin, etwas Rentner zu sein und mein ‚Kind‘ zu pflegen. Logistik, Einkäufe, Dienstpläne erstellen, Absprachen und Bankgeschäfte erfüllen mich vormittags völlig“, resümiert er.
Kiefer, der von 2010 bis 2021 im Präsidium des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) Brandenburg als Schatzmeister tätig war, plant die Betriebsnachfolge: „Ich werde mit Stolz ein tolles und funktionsfähiges Haus demjenigen übergeben, der diesen Beruf leben möchte – ohne Blick auf die Feierabend-Uhr.“ Nachfolger aus der Familie werde es nicht geben. Sein Vertrag läuft noch über drei Jahre. „Bis dahin habe ich Zeit, mit daran zu arbeiten, den richtigen Nachfolger zu finden.“
Doch jetzt freut er sich erst mal „auf eine der schönsten Jahreszeiten für uns – die Zeit der Familienfeiern. Und mit großen Schritten gehen wir auf das Jahresende zu. Nachdem es 2019 den letzten gab, wird es dieses Jahr erstmals auch wieder einen Silvesterball geben.“ Jens Wegner