Es sind gleich drei Länder auf dem afrikanischen Kontinent, die Guinea in ihrem Namen haben. Das liegt daran, dass die Portugiesen die ganze Küstenregion Westafrikas südlich der Sahara so bezeichneten. Portugiesisch gesprochen wird heute noch in Guinea-Bissau, der Zusatz ist der Name der Hauptstadt, gelegen zwischen dem Senegal und der Republik Guinea. In dem kleinen Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern gibt es etwa 25 ethnischen Gruppen mit eigenen Sprachen. Von dem reichen literarischen Schaffen des Landes ist in Deutschland bisher wenig bekannt. Nun ist in der Edition Noack & Block der Band „Der Pitangabaum der Nachbarin“ mit zwölf Erzählungen erschienen. Vier Autoren aus Guinea-Bissau und die brasilianische Autorin Claudiany Pereira, die lange in dem afrikanischen Land lebte, bieten Einblicke in die Vorstellungswelt, die Traditionen, die Lebensauffassungen der Menschen am Golf von Guinea.
Marinho de Pina schildert in humorvoller Weise die Erwartungen der Migranten, die hoffen, in Europa das Geld nur so von der Straßen auflesen zu können, Amadu Dafé greift die Kolonialzeit und den Befreiungskrieg für die Unabhängigkeit auf und veranschaulicht, wie afrikanische Mythen das Handeln der Menschen beeinflussen. Andere Texte wiederum beschreiben ganz persönliche Wendepunkte im Leben einzelner Menschen, oder soziale Fragen wie die Knappheit bezahlbaren Wohnraums in der Stadt. Aids ist Gegenstand der Erzählung „Entscheide dich, Selbstmörderin“, Guinea Bissau weist eine besonders hohe Rate der HIV-Infizierten auf, vor allem unter Frauen.
Vielfältig sind die literarischen Handschriften der Erzähler, sie alle geben einen Einblick in das Leben und Denken der Afrikaner, jenseits von Großwild-Safaris und Touristenströmen. Wer sich tiefer für den Kontinent interessiert, wird den von Renate Heß für die Amilcar Cabral Gesellschaft e.V. herausgegebenen Band als Bereicherung empfinden. Anerkennung verdienen die Übersetzungen, denn es gelingt ihnen, traditionelle Bilder und Wendungen so ins Deutsche umzusetzen, dass ihnen die Leser gut folgen können und dennoch ein authentisches Bild der Ausdrucksvielfalt bekommen. Ein Glossar wichtiger Begriffe und einige Erläuterungen sind beigefügt. rvHeß, R. (Hrsg.): Der Pitangabaum der Nachbarin. Edition Noack & Block, 2025.