„Ab 1985 arbeitete ich in einem kleinen Lebensmittelgeschäft der Konsumgenossenschaft in der Lindenstraße neben Friseur Kabel. Es war ein kleiner Tante-Emma-Laden. Da fing für mich die berufliche Laufbahn als Verkäuferin im Einzelhandel an”, erinnerte sie sich. Jedes Stück musste damals einzeln ausgepreist werden, beschrieb sie ein Detail ihrer Arbeit.
Die Konsumgenossenschaft baute kurz vor der Wende 1989 eine neue Kaufhalle am Berliner Weg. Im Oktober 1990 wurde der Konsum eröffnet. „Zu der Zeit war schon abzusehen, dass die kleinen Läden nicht bestehen werden. Also fing ich an, dort zu arbeiten”, berichtete sie. Seit dem 1. Juli 1990 verfügten die DDR-Bürger über die D-Mark. Die Regale wurden schnell mit Westprodukten gefüllt. „Das war nicht ohne. Der Andrang der Kunden war enorm. Oft bildeten sich lange Schlangen. Die Leute standen vor der Kasse bis zur Fleischtheke”, blickte sie zurück. Der Konsum am Berliner Weg war der erste größere Einkaufsmarkt in Perleberg mit Westprodukten.
„Ungefähr 1992 übernahm Edeka den Markt.” 1996 wurde ihr im regiegeführten Laden die Marktleitung übertragen. Sie belegte damit eine Schlüsselrolle mit der entsprechenden Verantwortung.
Im Dezember 2006 wurde sie von Edeka gefragt, ob sie den Markt als selbstständige Unternehmerin übernehmen wolle. „Dazu musste ich einen nicht unerheblichen Kredit aufnehmen. Das wurde natürlich erstmal mit der Familie besprochen.”
Mit der Selbstständigkeit kamen zudem noch andere Aufgaben auf sie zu. Schließlich müssen Löhne regelmäßig gezahlt und Kredite bedient werden. „Hätte ich es nicht gemacht, hätte ich mir einen anderen Job suchen müssen. Und ich bin doch mit Herz und Seele Einzelhändlerin. Es gibt nichts Schöneres für mich”, schwärmt sie. Für sie und ihre Familie kam auch nie in Frage, aus Perleberg wegzugehen.
Einige Male hatten Headhunter versucht, sie abzuwerben, doch sie lehnte die Angebote ab.
„Selbstständig zu sein, heißt wirklich selbst und ständig zu arbeiten. Man muss mutig sein und viel arbeiten. Wenn man so lange selbstständig ist, braucht man ein starkes Rückgrat, die Familie und zuverlässige Mitarbeiter. Bei allen möchte ich mich auf diesem Weg bedanken. Ich sitze auch nicht nur im Büro, sondern gehe selbst gern mit raus. Wenn Kunden mich fragen, möchte ich ihnen sagen können, wo was steht”, sagte sie.
Etwa 2015 kam die Anfrage von Edeka, ob sie einen neuen Markt übernehmen möchte. „Ich habe lange überlegt, ob ich das mache oder nicht. Wieder neue Schulden machen? Der Traum eines jeden Einzelhändlers ist es, einmal im Leben einen neuen Markt zu eröffnen. Den habe ich mir erfüllt”, sagt sie stolz.
So eröffnete die Edeka-Kauffrau Simone Misigaiski am 8. Dezember 2021 ihren zweiten Markt in der August-Bebel-Straße 2 in Perleberg. Bei der Einrichtung konnte sie eigene Ideen mit einbringen. „Der Markt wird sehr gut angenommen. Wir schleifen aber noch. Ein neuer Markt ist wie ein Rohdiamant, den man schleifen muss.” Glücklicherweise stehe aber Tochter Katharina an ihrer Seite. „Es war nicht immer einfach. Manchmal war es schwierig, Privates und Dienstliches zu trennen. Aber wir haben es gemeistert”, freut sie sich.
„Vieles ist jetzt einfacher geworden. Wir sind ein Lunar-Markt. Jedenfalls teilweise. Waren werden elektronisch bestellt. Auch die elektronischen Preisschilder erleichtern die Arbeit deutlich.” Auf 1450 Quadratmetern und in 1,80 Meter hohen Regalen finden die Kunden alle Dinge des täglichen Bedarfs. „Edeka versteht sich als Frischemarkt. Wir haben eine tolle Salatbar mit einer heißen Theke. Die wird gut angenommen.
Auch einen tollen Bäcker haben wir vor Ort”, lobte sie. Das Sortiment wird nach Bedarf angepasst. „Regionalität kommt gut an. Wir haben Produkte von der Feldküche Wittenberge, Premsliner Eier, Kekse und Nudeln der Feinkost-Manufaktur Kornex Wittenberge oder Gans Gin. Zwar haben wir nicht alles, aber vieles.” Ihr einziger Kritikpunkt an dem Markt: „Er hätte größer sein können.”
Gute Mitarbeiter zu finden sei auch für sie ein Problem. „Die Belastbarkeit der Leute ist enorm gesunken”, musste sie feststellen. Jedes Jahr werden Azubis ausgebildet. „Mit 15 machen sie ihre Schülerarbeit bei uns. Wenn sie gut sind, können sie sich bewerben. Wir wollen künftig stärker mit Schulen zusammenarbeiten und sie für Projekttage gewinnen.” 35 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie derzeit drei Azubis arbeiten bei ihr.
Ihr Sohn Robert übernahm zwischenzeitlich den Markt am Berliner Weg. „Er kommt aus dem Kfz-Bereich, hat aber gemerkt, dass es nichts für ihn ist”, bedauerte sie. Im September 2022 gab sie den Markt am Berliner Weg ab. „Ich bin ein Typ für einen Markt. Den übernehme ich dann zu 100 Prozent”, beschreibt sie sich.
Mit inzwischen über 50 Jahren habe sie sich vorgenommen, langsam ruhiger zu treten, es bis jetzt aber nicht geschafft. „Mein Mann geht im Mai 2025 in Rente. Ich will noch ein paar Jahre machen.” In ihrer wenigen Freizeit geht sie gern wandern und fährt Fahrrad. Jens Wegner