„Wie kann ein Mensch, in dessen Zügen so viel Gram und innere Zerrissenheit lagen“, noch wissen, „was Heiterkeit und Lebensbejahung sei.“ Beschrieben wird ein „hagerer, bleicher Mann mit einer Adlernase“, den der Augenzeuge in der Münchner Künstlerkneipe „Simplicissimus“ gesehen hat. Diese Mann wurde als Hans Gustav Bötticher 1883 in Wurzen geboren, wir kennen ihn unter dem Namen Ringelnatz. Der frühere Schulrüpel ersten Ranges war mittlerweile durch seine Auftritte in Kabaretts und Varietés, aber auch durch Buchveröffentlichungen und Werbetexte bekannt geworden. Wahrscheinlich hat er den Künstlernamen von einer seemännischen Bezeichnung für Seepferdchen abgeleitet, bestätigt hat er das nie. Aber die Vermutung liegt nahe, denn Ringelnatz ist viel Jahre zur See gefahren. Er war Schiffsjunge auf einem Segelschiff, Leichtmatrose auf allen Weltmeeren, und hat nebenbei in 30 Nebenberufen gearbeitet. Der kleinwüchsige Sachse wurde viel gehänselt und drangsaliert, war andererseits aber wegen seine unberechenbaren Streiche gefürchtet. Nach Zwischenstationen in der Kaufmannswelt fand er seine Berufung in München und traf dort auf Erich Mühsam, Frank Wedekind, Roda Roda und Max Reinhardt. Im Ersten Weltkrieg brachte es der zuerst Kriegsbegeisterte bis zum Marineleutnant. Ab 1919 nannte er sich Ringelnatz, seine Frau wurde „Muschelkalk“. Seit ersten Auftritten im Kabarett „Schall und Rauch“ gehörte er zur Berliner Szene, befreundet mit Kurt Tucholsky, Claire Waldoff, Otto Dix und Renée Sintenis. In der Zeit wurde er übrigens Mitglied von Hertha BSC. Gern trat Ringelnatz im Matrosenanzug auf und erzählte seine Geschichten vom Seemann Kuttel Daddeldu.
In der lesenswerten Reihe „Ein Lebensbild in Anekdoten“ würdigt der Eulenspiegel Verlag nun den Künstler, der 1934 in Berlin starb. Durch die pointierte, oft sehr witzige Darstellung seines abenteuerlichen Lebens kommt man ihm sehr nahe. Herausgeber des Bandes ist Ulf Annel, selbst Kabarettist und Autor, seit 1981 bei der „Arche“ in Erfurt.
Die Erlebnisse vom Seemann Daddeldu wurden in der Hafenbar des DDR-Fernsehens in der Reihe „Klock 8, achtern Strom“ von Heinz Draehn als Kuddeldaddeldu (Texte Hans Krause) weitererzählt.
Heinz Draehn war auch einige Jahre zur See gefahren. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. rv
Annel, Ulf: Joachim Ringelnatz. Ein Lebensbild in Anekdoten. Eulenspiegel Verlag 2024.