„Element christlicher Ethik“
Migration ist das zentrale Thema der Weihnachtsgeschichte

Weihnachtskrippe auf dem Böhmischen Weihnachtsmarkt in Potsdam 2024.Fotos: Bernd Gartenschläger, P.E.K., Adobe Stock/Konstiantyn
Weihnachten wird in unseren Kreisen als Wohlfühlfest gefeiert. Die biblische Geschichte dahinter ist aber eine andere. „Migration ist hier wie an vielen anderen Stellen des Neuen, besonders aber des Alten Testaments das zentrale Thema“, sagt Johann Hafner, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam. Maria und Josef und das noch ungeborene Kind werden wie auch aktuell viele Geflüchtete aus ihrem von fremden Mächten besetzten Zuhause herausgerissen, müssen sich auf einen langen Fußmarsch begeben und sollen sich in Bethlehem zählen, also bürokratisch erfassen lassen. Auch spiegelten die biblischen Schriften den Umgang mit Migration als „charakteristisches Element christlicher Ethik wider“, formuliert es Hafner. Diese Perspektive setzt sich in der theologischen Welt zunehmend durch. Unter anderem wurde im Rahmen der Veröffentlichung eines gemeinsamen ökumenischen Grundlagenwortes zu Fragen von Migration und Flucht der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland festgestellt, dass „die Geschichte des Christentums seit jeher mit Fragen von Migration und Flucht verbunden ist“.

Die mit der Tour nach Bethlehem eingeleitete Emigration setzt sich im Matthäus-Evangelium als Flucht quasi gleich im Anschluss fort. Der vom Römischen Reich für Judäa eingesetzte König Herodes sah der Legende nach seine Macht angesichts der Berichte über die Geburt eines Messias bedroht und befahl seinen Soldaten, alle männlichen Neugeborenen zu töten. Maria und Josef flüchteten in der Folge mit dem gerade zur Welt gekommenen Jesus von Bethlehem weiter nach Ägypten.

Doch nicht nur die Weihnachtsgeschichte ist in der Bibel eine Fluchtgeschichte. Das Thema Migration beginnt bereits mit dem Urvater des Volkes Israel, Abraham. Er entsagte seiner Heimat und machte sich von Haran nach Kanaan auf. Schon zuvor war Abraham mit seinen Eltern aus Ur geflohen, nachdem feindliche Truppen die Stadt besetzt hatten. Der Migrationsfokus setzt sich dann auch in den Moses-Erzählungen fort. Der Prophet teilte der Bibel nach mit Gottes Hilfe das Meer, um die Israeliten so zur Flucht aus der Sklaverei in Ägypten durch Wüstengegenden zu verhelfen. Die biblischen Texte erzählten „die Geschichte Gottes mit seinem Volk aus der Perspektive von Menschen, die in schwierigen, oft katastrophalen Umständen leben und mit Unterdrückung und Verfolgung, Vertreibung, Krieg und Flucht konfrontiert sind“, heißt es in der gemeinsamen Veröffentlichung von DBK und der Evangelischen Kirche. Sie berichteten „von Menschen im Exil oder in der Diaspora, die sich als Fremde fühlen“.

Letztlich werde auch Jesus selbst „als rastloser Wanderprediger“ dargestellt, der meist in einer Gruppe von Jüngern von Ort zu Ort pilgert, um seine Botschaft zu verkünden, sagt Johann Hafner. In der christlichen Religion sei eigentlich „der grundlegende Charakter des Menschen, Pilger zu sein“. Dieses Bild des „Bettelmönchs ohne Besitz“ sei auch eines der grundlegenden Merkmale des Christentums.

So stellt sich der Umgang mit „Fremden“ in den heiligen Schriften als intensiver und herausfordernder Lernprozess dar. Für Hafner gelten sie als Lehrbuch „des Umgangs mit Migranten“. Letztlich seien sie auch Beleg dafür, dass „Solidarität mit Geflüchteten von jeher der Grundmesser aller Ethik“ ist. gd

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